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Unsere Seelen bei Nacht

Autor 

Kent Haruf  

 

 

Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte

In seinem letzten, postum veröffentlichten Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ erzählt der US-Schriftsteller Kent Haruf eine berührende Liebesgeschichte zwischen zwei nicht mehr ganz jungen Menschen.

Es ist eine ungewöhnliche und berührende Liebesgeschichte, die Kent Haruf erzählt: Addie und Louis sind beide schon älter, beide verwitwet und nähern sich einander an. Doch das bleibt nicht unentdeckt in ihrer kleinen Stadt. 

 

Inhalt

Holt, eine Kleinstadt in Colorado. Zwei jahrelange Nachbarn lernen sich kennen, nachdem sie jeweils ihren Ehepartner verloren haben und ihre Kinder weggezogen sind. Addie Moore, eine Witwe von 70 Jahren, beschließt eines Tages, ihren Nachbarn Louis Waters, der seit dem Tod seiner Frau ebenfalls allein lebt, spontan zu besuchen. Sie macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: Ob er nicht ab und zu bei ihr übernachten möchte? Überraschend werden die beiden Nachbarn Freunde. Louis übernachtet von nun an manchmal bei ihr, während sie sich gegenseitig von ihren jeweiligen Leben erzählen. Ihre Beziehung wird dadurch nach und nach enger und so liegen sie Nacht für Nacht nebeneinander und erzählen sich ihre Leben. Doch ihre Nachbarschaft begegnet ihnen mit Neid und Missgunst, Argwohn und Misstrauen. 

 

 

Wie alles begann 

„Und dann kam der Tag, an dem Addie Moore bei Louis Waters klingelte. Es war an einem Abend im Mai, kurz bevor es endgültig dunkel wurde.“ (S.7)

 

Addi ist es satt, die Nächte in ihrem Haus allein und ohne Schlaf zu verbringen. Sie fasst den Plan, dem ein Ende zu setzen. Sie klingelt bei ihrem Nachbarn, Louis Waters, der Teil ihres Planes ist. Ohne Umschweife fragt sie ihn, ob er nicht ab und zu bei ihr übernachten wolle. 

 

„Nein, kein Sex. Das meine ich nicht. Ich habe schon lange keine Lust auf Sex mehr. Ich spreche davon, die Nacht zu überstehen. Es gemütlich und warm zu haben. Zusammen im Bett zu liegen, die ganze Nacht. Die Nächte sind am schlimmsten.“ (S.10 f.)

 

Addie denkt dabei nicht an Sex, sondern es fehlt ihr an menschlicher Nähe. Sie möchte die Einsamkeit der Nacht damit vertreiben. So kam sie auf diese Idee um ihr Alleinsein zu entkommen.

Louis, selbst verwitwet, fand Addie immer schon, wenn auch aus der Ferne, sehr sympathisch.

So beschließen beide, anstatt Einsamkeit bis ans eigene Lebensende zu akzeptieren, den Bund, sich in der Nacht Gesellschaft zu leisten.

Louis lässt sich auf das kuriose Arrangement ein: Jeden Abend macht er sich mit einer Papiertüte bewaffnet, die Pyjama und Zahnbürste enthält, auf den Weg zu Addie, um in der Dunkelheit neben ihr zu liegen und zu reden – oder auch um gemeinsam zu schweigen. 

In Addies Haus dient das Glas Wein oder Bier vor dem Zubettgehen schon bald nicht mehr dazu, die Fremdheit und Scheu zu überwinden. Sie beide gewöhnen sich schnell aneinander und erfreuen sich der nächtlichen Zweisamkeit bei Geplauder bis zum Einschlafen. Mehr und mehr erfahren sie so über das Leben des anderen und die Schicksalsschläge, die sie beide erlitten haben.

 

Die Missgunst der anderen

Doch in Holt bleibt ihr Tun nicht unbemerkt: Die Nachbarn beginnen zu klatschen. Das Ganze wird mit Argwohn und Missgunst verfolgt. Doch zunächst können Neider und Klatschtanten schnell beruhigt werden. Doch dann tauchen unverhofft Probleme in der Ehe von Addies Sohn Gene auf, was zu einem längeren Aufenthalt ihres Enkels bei Addie führt. Addies Enkel gewöhnt sich in kurzer Zeit an Louis als Freund seiner Oma. Als dieser ihm noch einen Hund aus dem Tierheim holt, ist die Freundschaft zwischen beiden besiegelt. 

 

„Alle drei bückten sich zu der Hündin hinab, und sie setzte sich hin. Der Junge tätschelte ihr den Kopf, und sie sah zu ihm auf.“ (S.98)

 

So verleben sie zu dritt mit Hund Bonny einen schönen Sommer. Sie machen Ausflüge, Picknicken, Gartenarbeit und wachsen zu einer glücklichen kleinen Gemeinschaft zusammen.

 

Das späte Glück zerbricht

Doch es gibt Leute, denen das nicht passt. Manche finden es gut und hätten auch gern einen solchen Partner. Viele schütteln den Kopf und meinen, dass sich das in dem Alter nicht gehört. Louis‘ Tochter wird von Gemeindemitgliedern angerufen und auf den ungehörigen Zustand aufmerksam gemacht. Schließlich mischt sich auch Gene ein und stellt Addie ein unfassbares Ultimatum.

 

Stil 

Die Geschichte beginnt in dem Moment, in dem Addie an der Tür von Louis klopft und wird dann stringent weitergeführt. Kontinuierlich ohne Hektik, völlig unaufgeregt baut Kent Haruf die Geschichte auf. Er greift ein Thema auf, das bisher in der Buchwelt wenig Beachtung findet. Zwei Menschen wollen in ihrem Alter ein selbstbestimmtes Leben führen und sehen sich mit Geschwätz, Neid und emotionalem Druck konfrontiert. Leise, zart und so poetisch besticht Roman in seiner Schlichtheit und Sanftheit. Aus einer ungewöhnlichen Freundschaft entwickelt sich eine späte Liebe. Die Weisheit und Gelassenheit, die die beiden Protagonisten dabei an den Tag legen, machen sie sehr sympathisch. Letztendlich ist es auch ein beruhigender Gedanke, dass man als älterer Mensch nicht zwangsweise alleine und einsam in seinem Alltag festsitzen muss. 

Doch der Leser ahnt, dass das Glück nicht von Dauer sein wird. Kent Haruf bleibt Realist und gibt der Geschichte zum Ende hin eine Wendung. 

 

Sprache

Um Atmosphäre zu schaffen, nutzt der Autor überwiegend kurze Sätze. Die wenigsten Sätze haben Überlänge. Hinzu kommen Dialoge, die ohne Anführungszeichen gekennzeichnet sind. Damit heben sich die ausgesprochenen Inhalte nicht von denen der gesamten Beschreibungen ab. Um auseinanderzuhalten, wer spricht, werden die Aussagen immer in neue Zeilen gefasst. Diese sprachliche Besonderheit vermittelt, dass ohne Unterbrechung eine zusammenhängende Geschichte entsteht. Der Autor schafft eine Atmosphäre mit einer schnörkellosen Sprache, trotzdem wirkt die Geschichte weder kitschig noch pathetisch. Dabei bleibt der Leser außen vor, nimmt nur als stiller Beobachter teil.

 

Fazit

Irgendwann im Leben eines langen verheirateten Ehepaars wird der Zeitpunkt kommen, an dem einer von beiden stirbt und die andere Hälfte bleibt zurück. Auf Trauer, Schmerzen und das Gefühl der Orientierungslosigkeit folgt die Einsamkeit. Addie und Louis mussten lernen ohne jeweiligen Partner weiter zu leben. Doch sie akzeptieren ihre Einsamkeit bis ans eigene Lebensende nicht, sondern schließen einen Bund, sich in der Nacht Gesellschaft zu leisten. Sie haben damit ihre Einsamkeit überwunden, doch dafür müssen sie den Druck der Gesellschaft aushalten, die diese Beziehung missbilligt. Sie müssen sich mit der Selbstgerechtigkeit und Engstirnigkeit von Familie und Kleinstadtbürgern auseinandersetzen. 

In seinem letzten Roman greift Kent Haruf ein brisantes Thema auf. In unserer Zeit, in der offensichtliches Altern als ein Makel gilt, setzt er ein glaubhaftes Plädoyer für Selbstbestimmung im Alter dagegen.

 

„Eines Nachts gingen sie im Dunkeln hinüber zum Schulhof der Grundschule, und Louis gab Addie auf der großen Kettenschaukel Schwung. Sie schaukelte hin und her in der kühlen, frischen Nachtluft des Spätsommers, und der Saum ihres Kleids flatterte bis über die Knie. Anschließend gingen sie zurück in ihr Bett im vorderen Zimmer oben im ersten Stock und lagen nackt nebeneinander in der Sommerluft, die durch die offenen Fenster hereinstrich.“ (S.172)

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