Biographie und Werk

 

Judith Hermann wurde am 15.05.1970 in Berlin-Tempelhof geboren. 

 

Zunächst studierte sie Germanistik, Philosophie und Musik. Nach kurzer Zeit brach sie ihr Studium ab, machte eine Ausbildung an der Berliner Journalistenschule und absolvierte ein Zeitungspraktikum in New York und war als freie Radiojournalistin tätig. 

 

1997 bewarb sie sich für das Alfred-Döblin-Stipendium an der Akademie der Künste in Berlin und hatte Erfolg. Sie entdeckte die Kurzgeschichte als ihr Lieblingsgenre. 

 

 

Im Jahr 1998 veröffentlichte die damals noch unbekannte Judith Hermann ihren ersten Erzählband „Sommerhaus, später“ im Fischer Verlag. Das Werk erzielte einen beachtlichen Erfolg.

Judith Hermann erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihr Erzähldebüt „Sommerhaus, später“. Dazu gehören der Literaturförderpreis der Stadt Bremen im Jahr 1998, der Hugo-Ball-Förderpreis im Jahr 1999 und der Kleist-Preis im Jahr 2001. 

 

Auch Marcel Reich-Ranicki hielt sich mit Lob nicht zurück. 

 

Er bezeichnete Judith Hermann als „hervorragende neue Autorin“ und prophezeite im literarischen Quartett: „Ihr Erfolg wird groß sein.“ und er sollte Recht behalten. 

 

Mit Spannung wurden weitere Texte von Judith Hermann erwartet. Doch sie ließ sich Zeit. Sie sagt über das Reich Ranicki Urteil: „Von diesem Satz musste ich mich lösen, von dem Anspruch, den dieser Satz an mich richtete.“(„Ich wollte mich, glaube ich, überhaupt von all den Ansprüchen lösen. Nicht von dem Ton des Buches und auch nicht vom Schreiben, sondern von der Position, in die mich das Buch hineinkatapultiert hat. Ich wollte Abstand gewinnen von dieser Kunstfigur Judith Hermann, die eine über Nacht in Deutschland bekannte Autorin war, auf einem so hohen Podest und mit einer so hohen Erwartungshaltung beladen.“

 

Fünf Jahre später, im Jahr 2003, erschien ihr zweiter Erzählband „Nichts als Gespenster“. Allerdings wurde dieser Erzählband weniger euphorisch als bei „Sommerhaus, später“ aufgenommen. 

 

Nach weiteren sechs Jahren, 2009 wurde ihr dritter Band „Alice“ veröffentlicht. Bei „Alice“ geht es in fünf Kurzgeschichten ums Sterben. Sie stellt das Thema als natürlichen Vorgang im Alltagsleben dar, ohne pathetisch zu werden. Für „Alice“ erhielt Judith Hermann den Friedrich-Hölderlin-Preis.

2014 erschien ihr erster Roman „Aller Liebe Anfang“.

 

Auch wenn sich bei diesem Roman die Kritiker spalten, bleibt es doch ein typischer Judith Hermann Roman. 

 

Zitat:

(„Prosa, die sich so leise, leicht und klar und vorsichtig liest wie kaum eine andere deutsche Prosa unserer Zeit[…] -- Volker Weidermann ― Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Published On: 2014-08-24“ )

 

Alice Munro und Judith Hermann 

„Lettipark“ erschien 2016. Wieder Kurzgeschichten.

 

Wenn „Sommerhaus, später“ durchschnittlich 20,7 Seiten pro Erzählung in Anspruch nahm, begnügt sich „Lettipark“ mit 10,7 Seiten durchschnittlich für jede Geschichte. 

 

Wir kommen nicht an der Frage vorbei, warum Kurzgeschichten?

 

Judith Hermann ist bekennende Kurzgeschichten-Autorin und Bewunderin von Alice Munro.

Hermann begann im Alter von 30 Jahren, Alice Munro zu entdecken. Die Schriftstellerin Hermann verrät: “Sie war ja ein Geheimtipp, ich wollte sie für mich behalten und habe daher auch gehofft, dass sie den Nobelpreis nicht bekommt für ihren Kurzgeschichtenband "Der Traum meiner Mutter“.“ Für "Der Traum meiner Mutter" verfasste Judith Hermann ein Nachwort und sagt: “Man muss sich vom eigenen Schreiben distanzieren, wenn man sie liest. Sie ist unerreicht gut."

 

So wie die Kanadierin Munro als "Meisterin der kleinen Form“ genannt wird, so kann Judith Hermann ebenso genannt werden. Auch sie beherrscht die Fähigkeit, mit wenigen Worten, Sätzen und mit Auslassungen Geschichten zu erzählen. 

 

Lettipark

Lettipark,  ist der umgangssprachliche Name für einen ganz kleinen Park in Berlin-Karlshorst.

 

Siebzehn Geschichten in „Lettipark“ brauchen weniger als 190 Seiten Platz. 

Skizzenhaft, poetische Momentaufnahmen in einer präzisen Sprache gezeichnet. Gefühle, Gedanken, Blicke und Gesten ganz nah und authentisch.

Vieles bleibt zwischen den Zeilen und muss vom Leser gefunden und in Verbindung gebracht werden und so sind verschiedene Auslegungen möglich.

 

In der Erzählung „Kohlen“ erleben wir eine vergangene, für heutige Verhältnisse ungewohnte Tätigkeit, das Schippen von Kohle in einen Stall, um für den Winter gerüstet zu sein. Doch gleichzeitig findet ein Rückbezug auf eine vergangen Zeit statt. Das Schippen der Kohle als Trost für Vincent, dessen Mutter an der Liebe gestorben ist. 

 

„Seine Mutter hatte uns gezeigt, dass man an der Liebe sterben kann.“ (S. 12)

 

In „Fetisch“ wartet Ella auf ihren Freund Carl, der nicht wiederkommen wird, während ein Junge ein langgehütetes Foto im Lagerfeuer verbrennt. 

Da ist Ricco aus der Erzählung „Rückkehr,“ der sich immer wieder selbst neues Leid zufügt, seit er zusehen musste, wie sich sein Vater vor vielen Jahren beim Experimentieren in die Luft gesprengt hat.

 

Die alte Frau Greta, die ihrer jungen Mitbewohnerin Maude in „Manche Erinnerungen“ von einem Badeunfall erzählt, bei dem möglicherweise ihr Geliebter ertrank. Das kinderlose Paar, Philipp und Deborah, das ein russisches Kind adoptiert und doch nicht zusammenbleiben wird.
Oder zwei Frauen, deren Psychoanalytiker ihnen bei der Deutung ihrer „Träume“ hilft.

Spuren des Alterns der Personen werden sichtbar, und dies geht damit einher, dass mit zeitlichem Abstand auf Freundschaften geschaut und dabei ein Ungleichgewicht in Beziehungen erkannt wird. Ehemalig sehr vertraute Freundinnen, die sich nach längerer Zeit wieder begegnen, wie in „Solaris“ oder „Inseln“ dargestellt, finden nicht mehr zueinander, wobei die Erinnerung verwischt, wann die Entfremdung ihren Anfang nahm. 

 

In der Titelgeschichte „Lettipark“ trifft Rose auf die einstmals „schöne“ Elena im Supermarkt. Rose, erinnert sich an einen Mann, dem Elena „das Herz brach“. 

Erinnerung an alte Zeiten und ihre Jugend kehren zurück, die Rose über ihre derzeitige Lebenssituation nachdenken läßt. Sie reflektiert die Gegenwart und lässt den Moment des Wiedersehens fast verstreichen.

 

Wir merken:

Judith Hermanns Prosa sind nicht nur einfache Geschichten, sondern erzählerische Dichtkunst. Es sind Erzählungen aus dem Leben.

 

Die letzte Erzählung „Mutter“ handelt von der Mutter, die weiss, dass sich Fragen, die wir uns im Laufe des Lebens stellen, selbst lösen.

 

„Aber meine Mutter ging über diese Fragen hinweg. Sie hielt diese Fragen sehr offensichtlich nicht für der Rede wert.“ (S. 187.

 

Sie weiß es.(S. 187)

 

 

Wir hören nun drei Geschichte aus „Lettipark“

 

Gehirn

 

Papierflieger

 

Solaris

 

 

Quelle:

 

Lettipark

Judith Hermann
S. Fischer (2016)

 

Fridtjof Küchemann, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/judith-hermann-ich-bin-doch-eine-handfeste-person-193048.html?printPagedArticle=true#pageIndex, 11.10.2021.

 

Autorin: Petra Gleibs