Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da hörst Du alle Herzen gehen und schlagen
wie Uhren, welche Abendstunden sagen:
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da werden alle Kinderaugen groß,
als ob die Dinge wüchsen die sie schauen,
und mütterlicher werden alle Frauen
und alle Kinderaugen werden groß.
Da musst du draußen gehn im weiten Land
willst du die Weihnacht sehn, die unversehrte
als ob dein Sinn der Städte nie begehrte,
so musst du draußen gehen im weiten Land.
Dort dämmern große Himmel über dir
Die auf entfernten weißen Wäldern ruhen,
die Wege wachsen unter deinen Schuhen
und große Himmel dämmern über dir.
Und in den großen Himmeln steht ein Stern
Ganz aufgeblüht zu selten großer Helle,
die Fernen nähern sich wie eine Welle
und in den großen Himmeln steht ein Stern.
(Aus: Weihnachten mit Rainer Maria Rilke, Insel Verlag 2002, S.7)
Von R.M. Rilke
Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann presst er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.
Und stille wird ein jedes Haus:
die Alten in den Sesseln sinnen,
die Mütter sind wie Königinnen,
die Kinder wollen nicht beginnen
mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen
nicht mehr. Der Abend horcht nach innen,
und innen horchen sie hinaus.
Winterwald
Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.
Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt in lichten Lohgewittern, -
und draußen wächst im Flockenflittern
der weiße Tag zur Ewigkeit.
Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt.
Und manche Tanne ahnt wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird;
Und lauscht hinaus.
Den weißen Wegen streckt sie die Zweige hin - bereit
Und wehrt dem Wind und wächst entgegen
Der einen Nacht der Herrlichkeit.
Rainer Maria Rilke, 1875-1926
Werke 1, 101
Denn Weihnachten hat so eine Unaufhaltsamkeit im Näherkommen. Bei diesem Fest merkt man's besonders, wie das Tempo der Welt nicht mehr auf es Rücksicht nehmen mag, so ein Fest hat langsam zu kommen, wie damals als man Kind war."
R. M. Rilke
Die hohen Tannen atmen heisser
im Winter Schnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weissen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger
Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt im lichten Lohgewittern,
- und draussen wächst im Flockenflittern
der weiss Tag zur Ewigkeit.
R.M. Rilke, Werke 1, S. 107 f.