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Der Weg des Falken

Autor

Jamil Ahmad, 1933 in der Provinz Punjab geboren, zu jener Zeit Britisch-Indien. Er entschied sich als junger Mann für eine Laufbahn in der Verwaltung. Da er ein großes Interesse an den Stammesgebieten hatte, wurde er nach seinem Studium 1954 in Lahoe, bei entlegenen Stämmen eingesetzt, lernte Paschtu und setzte sich mit den Stammeskulturen auseinander. Später war er Vorsitzender der Tribal Development Corporation. 1979, während der sowjetischen Invasion in Afghanistan, übernahm er Aufgaben in der pakistanischen Botschaft in Kabul.

Das Schreiben hatte ihn schon immer interessiert. Zunächst versuchte er es mit Gedichten. Doch seine Frau meinte, er solle besser über seine geliebten Stammesgebiete schreiben. 

So entstanden neun Geschichten. Sie erzählen das Leben von Hass, Liebe, Ehrverletzung, Rache, Glaube und Sinn des Lebens in den unterschiedlichsten Stämmen.  

 

Erst sehr spät, im Alter von 81 Jahren, kam sein Buch heraus und damit sein Ruhm. Neben der deutschen Ausgabe sind unter anderem Fassungen auf Französisch, Spanisch, Schwedisch, Italienisch, Serbisch und Polnisch erschienen.

 

Jamil Ahmad starb am 12. Juli 2014 in Islamabad, Pakistan 

 

Inhalt

Jamil Ahmad schildert das Schicksal von Tor Baz, der die Leser durch die Welt der pakistanischen Stammesgebiete im Grenzgebiet zu Afghanistan führt. Tradition, Ehrenkodex und Patriarchat prägen diese Gesellschaft stärker als der Islam. Jamal Ahmad gibt den Nomaden eine Stimme.

 

Neun Geschichten

Ein Mann entführt seine Geliebte. Auf der Flucht vor den Verfolgern lässt sich das Paar neben einem unwirtlichen Außenposten der Armee nieder. 

Sie erhalten Obdach in diesem Militärstützpunkt. Keine Zuflucht – lediglich Obdach. Dies ist in diesen Regionen ein großer Unterschied. Der Subedar will sich nicht in den Konflikt des Stammes einmischen. 

 

In diesem Stützpunkt kommt Tor Baz, später der Falke genannt, zur Welt.

Doch der Stamm hat die Rache nicht vergessen. Jahre später werden seine Eltern von ihren Verfolgern gefunden und erschlagen. 

Nur Tor Baz überlebt das Gemetzel und man lässt ihn alleine in der Wüste. 

Das Schicksal von Tor Baz steht unter einem schlechten Stern. Von nun an wird sein Leben zu einer einzigen Odyssee über die Grenzen dreier Länder hinweg.

 

Er wird von anderen gefunden und aufgenommen. Zum Beispiel die Belutschen, die sich gegen den Staat erheben, der ihnen - entgegen der Tradition - vorschreiben will, wer ihr Oberhaupt zu sein hat. Sie waren es, die Tor Baz bei dem toten Kamel entdeckten. 

Sie hoben ihn hoch und brachten ihn zu ihrem alten Häuptling. Tor Baz schrie und wollte nicht weggebracht werden. 

Erst als Roza Khan ihn ansprach mit den Worten: „»Hör auf zu weinen, mein Sohn«, […]. »Es ist nicht gut, einen Belutschen - und wenn es nur ein Kind ist - weinen zu hören.«“ (S. 32) 

 

Dann steht er unter der Obhut eines Soldaten, mal ist er Begleiter als ein Lehrling bei einem wandernden Mullah, dann Ersatzsohn eines Paares, dessen Kind auf zweifelhafte Weise zu Tode kam. Tor Baz, der Falke, erlebt Stammesfehden, Mädchenhandel, er trifft auf Rebellen.

Der Leser erfährt auf dem Weg des Falken von uralten Traditionen, Hochzeiten und Ehrenmorden, Karawanenzügen und Sklavenmärkten, weisen Männern und mutigen Frauen, Mullahs, Händlern, Spitzeln, Gauklern, Häuptlingen, Soldaten und Hirten.

 

Ahmad beschreibt einfache Menschen. Der Glaube von Frau Gul Jana ist fest verankert. Sie meint, mit einem Koran auf dem Kopf könne ihr nichts geschehen, wenn sie den Männern mit Maschinengewehren entgegengeht, die ihren Stamm am Weiterziehen hindern wollen. 

 

„Gul Jana rief ihrem Ehemann zu: »Dawa Khan, ich gehe voran. Die Kamele dürfen nicht sterben. Ich gehe mit einem Koran auf dem Kopf. So kann mir nichts geschehen. «“ (S. 67 f.)

 

Sie stirbt im Kugelhagel und mit ihr der Großteil des Stammes: Frauen, Kinder und Männer, Kamele, Ziegen. 

 

Auch die Logik kann verblüffend sein, was nachfolgendes Beispiel zeigt:

  • Der Bär

Nach der Hochzeit:

 

Die Truppe – Ehemann und Bär vorneweg, Sha Zarina mit der Mitgift auf dem Kopf hinterher – marschierte Meile um Meile.“ (S. 168) 

 

In den Dörfern führte der Bär seine Kunststücke auf. Ihr Mann verteidigte den Bären vor Angriffen der Dorfhunde, er schlug die Dorfjungen, als sie den Bären verletzten. Er schützte seine Bären, aber seine Frau musste sich selbst verteidigen. Sie bereitet das Abendessen für alle drei. In der Stadt, wenn er ein Zimmer gemietet hatte, musste sie nachts außerhalb des Zimmers übernachten und der Bär kam in das Zimmer. Tagsüber wurde es von Sha Zarina bewohnt, wenn ihr Mann nicht da war. 

 

„Jeden Morgen, sobald der Bär weg war, machte Sha Zarina das Zimmer sauber, trug ihre Habseligkeiten hinein und breitete sie aus. Nachmittags musste alles zusammengestellt werden und eingepackt werden, damit das Zimmer bereit wäre, wenn der Bär heimkam.“

(S. 170)

 

  • Die Logik

Wütend über das immer gleiche Spiel beschwert sie sich schließlich bei ihrem Mann. Der sagt ihr nur ins Gesicht: „Eine andere Frau finde ich jederzeit, einen anderen Bären nicht. Sie war sprachlos.“ (S.170.)

 

Dieser Logik kann man sich nur schwer entziehen.

 

„Ahmad schildert die von inneren und äußeren Zerstörungskräften aufgeriebene Kultur der Stämme in der Grenzregion; Schönheit und Glück in uns gewohnten Formen führen Jamil Ahmads Erzählungen kaum je vor. Es gelingt ihm auch dem heutigen Publikum diese unendlich fremde Welt zu erschließen, ohne anbiedernd ihre Härten zu mildern oder ein Jota von ihrer Besonderheit preiszugeben.“

 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/von-adelheid-wedel.1059.de.html?dram:article_id=240258, 16.08.2021.

 

Jamil Ahmad schreibt einen einfachen, unprätentiösen Stil. In neun Geschichten, die alle in sich abgeschlossen sind beschreibt er nun unterschiedliche Stämme und deren Eigenheiten. 

Im Kapitel 6  „Der Führer“ ändert sich die Erzählperspektive in eine Icherzählung. 

Der Icherzähler ist in Deutschland aufgewachsen, macht eine Reise ins Land seines Vaters - und sieht es mit den Augen eines Ausländers. 

 

Die letzten drei Kapitel sind untereinander verbundene Kapitel mit Geschichten über das Schicksal von jungen Frauen, 

 

Alle Geschichten sind in sich abgeschlossen, manche spinnen einen dünnen Faden zur nächsten weiter und immer wieder taucht Tor Baz auf.

 

Fazit

Die Geschichte erzählt aus der Grenzregion zwischen Pakistan, Afghanistan und Iran, eine karge, lebensabweisende Landschaft der Nomaden. Tor Baz, der Falke, führt uns durch eine archaische Welt einzelner Stämme und Clans, in der der gnadenlos herrschende Ehrenkodex sich zu einer vollendeten Transparenz und Verlässlichkeit öffnet.

Der Leser nimmt an eine Zeitreise in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts teil und lernt Menschen kennen, die zwischen Mittelalter und Moderne leben, Nomaden, die ihre Traditionen im Widerstand gegen die neuen politischen Bestimmungen bewahren wollen in der Tradition, in der Ehre und Patriarchat, die diese Gesellschaft stärker bestimmen als der Islam. 

 

 

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