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Charlotte

Autor

David Foenkinos geboren 1974, lebt in Paris. Er ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Sein Roman Charlotte erschien 2014. 

 

„Rein zufällig“ gerät der Schriftsteller 2004 in eine Gemäldeausstellung mit dem Titel »Leben? Oder Thea­ter?«. 

 

Eine Bekannte macht ihn auf eine Sonderausstellung aufmerksam als er gerade an ein „literarische Projekt“ über den Kunsthistoriker Aby Warburg (1866 – 1929) arbeitet.

 

        "Ich sah in Leben? Oder Theater? alles, was ich an Kunst mag. 

      All das, was mich seit Jahren beschäftigte.

      Warburg und die Malerei. 

      Deutsche Literatur. 

      Musik und Fantasie. 

      Verzweiflung und Wahnsinn. 

      Alles war da. 

                                                   Und leuchtete in schillernden Farben." (S.72)

 

Sofort ist er von den Bildern eingefangen und die Künstlerin Charlotte Salomon lässt ihn nicht mehr los. 

 

„Ich hatte dem merkwürdigen Eindruck, schon einmal hier gewesen zu sein.

Das war meine erste Begegnung mit Charlottes Bildern.“ (S. 72)

 

David Foenkinos fängt an, den Lebensweg von Charlotte zu rekonstruieren. Er braucht Jahre  dafür, denn nicht immer werden seine Recherchen wohl gesonnen aufgenommen. 

 

In Villefranche-sur-Mer trifft er auf Kika Moridis-Frouté, der 1941 geborenen Tochter des Arztes Dr. Georges Moridis, der Charlotte Salomon und deren Großeltern behandelt hatte.

Er trifft auf eine alte Frau, die weiß, wer Ottilie Moore war. Sie macht einen gereizten, verängstigen und verbitterten Eindruck. Sie ist nicht bereit, Auskunft zu geben, als er seine Fragen stellt. Er erfährt von anderen, dass es immer noch Leute gibt, die wissen, wer Charlotte Salomon 1943 denunzierte.

Als wichtigste Quelle nennt David Foenkinos den autobiografischen Zyklus „Leben? Oder Theater?“ 

David Foenkinos Roman „Charlotte“ mischt Fiktion und Fakten und bleibt, aber doch authentisch.

 

Charlotte

Als Charlotte Salomon am 16. April 1917 in Berlin geboren wird, ist ihr Vater Dr. Albert Salomon noch als Chirurg im Krieg. Ihre Mutter Franziska ist viel allein und leidet an Depressionen. Als Charlotte acht Jahre alt ist, nimmt sich die Mutter das Leben. 

 

„Die Unberechenbarkeit der Mutter macht aus Charlotte ein braves Mädchen.

Sie hält ihre eigene Melancholie im Zaum.

Wird man so zu einer Künstlerin?

Indem man sich an den Wahnsinn der anderen gewöhnt?“ (S.21)

 

Ja, Charlotte wird es. Aber anders als sie es sich vorgestellt hat.

 

Sie wächst einsam auf, aber findet Unterstützung bei ihrem Kindermädchen und Paula Lindberg, einer berühmten Mezzosopranistin, der zweiten Frau ihres Vaters.

 

Das Schicksal der Familie Salomon

 

  • Erblast als Bürde

 

„An einem Grab­stein lernt Charlotte ihren Namen lesen.“ (S.11)

 

Der erste Satz zieht sich wie ein roter Faden durch Charlottes Leben. Eine Folge schwers­ter De­pres­sio­nen erschüttert die Familie über Generationen hinweg. Char­lottes Tante ging acht­zehn­jäh­rig ins Was­ser, Char­lot­tes Mutter Fran­ziska stürzte sich aus dem Fenster, ebenso wie Char­lottes Groß­mutter und deren Mutter und Bru­der, und auch die Groß­tante und deren Sohn haben ihrem uner­trägli­chen Leben mit der Krank­heit selbst ein Ende ge­setzt. 

Die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter erfährt Charlotte erst spät, aus Angst, dass auch Charlotte die Veran­lagung geerbt habe, ver­schweigt man das fa­mi­liäre Drama, so­lange es geht. Sie glaubt, ihre Mutter wohne als Engel im Himmel und schreibe ihr bald einen Brief. 

 

  • Nationalsozialistischen Machtergreifung

 

„Charlotte glaubt nicht, dass der Hass nur eine vorübergehende Erscheinung ist.“

 

Der Nationalsozialismus breitet sich immer weiter aus. Der Druck auf die Lebensumstände Juden spitzt sich immer mehr zu.

Charlottes Vater wird von der Gestapo abgeholt und ins Arbeitslager gebracht. Paula schafft es,  ihn herauszuholen, doch er war nicht mehr derselbe. 

Zu viel hatte er im Arbeitslager gesehen, weshalb er nun darauf bestand, dass Charlotte Deutschland so schnell wie möglich verlassen soll. 

Charlotte flieht nach Frankreich zu ihren Großeltern und lebt dort im Exil. 

 

  • Charlotte und die Malerei

 

Ihre Großeltern sind kunstbegeistert und nehmen Charlotte auf eine große Bildungsfahrt nach Italien mit. 

 

„Diese Reise wird zu einem einschneidenden Ergebnis“ (S. 60) 

 

Charlotte entdeckt die Malerei, während die Nationalsozialisten in den Alltag des Volkes eingreifen, menschliches Leben verabscheuen, jüdisches, individuelles und künstlerisches insbesondere.

An der „Staatsschule für Freie und Angewandte Kunst“ in Berlin nimmt sie ihr Studium auf. 

doch schon zwei Jahre später verließ sie die Schule wieder, weil sie als Jüdin den ersten Platz eines Wettbewerbs, den sie gewonnen hatte, nicht annehmen durfte.

Charlotte geht ins Exil nach Villefranche bei Nizza zu ihren Großeltern, die bei einer Amerikanerin, Ottilie Moore, untergekommen sind .Ottilie Moore lebt auf einem großzügigen, naturnahen Grundstück. Charlotte arbeitet dort wie eine Besessene. Rückschläge lassen sie nicht davon abhalten weiterzumachen.

Die Erinnerungen an ihr Leben, ihre Familie, Liebesglück, Erlebnisse mit der Kunst, Erfahrungen mit Leben und Tod malt sie wie einen Roman. Es entsteht ein Werk aus Bildern und Text, ihr Leben. 

Das letzte Bild zeigt Charlotte von hinten am Meer sitzend „Der Titel Leben. Oder Theater?“.

Ihr fertiges Projekt vermacht sie Ottilie Moore, die durch sich zuspitzende politische Lage nach Amerika zurückgekehrt ist. Daher über­gibt Charlotte den Koffer treu­hän­de­risch an ihren Arzt Dr. Moridis mit den Worten: „C’est toute ma vie“ (»Das ist mein ganzes Leben«).

 

Sprache und Stil

Die Form des Romans erscheint als Lyrik. Der Satzaufbau ist linksbündig ausgerichtet. Jeder Satz beginnt mit einer neuen Zeile, und kein Satz ist länger als eine Zeile, was einem Epos gleichkommt. Nach zwei bis vier Sei­ten beginnt ein neuer num­me­rier­ter Abschnitt, nach fünf bis zwölf Seiten fängt ein neues Kapi­tel an, ins­ge­samt acht und ein Epi­log.

Die Sprache eines Epos beruht auf ein Gleichmaß in der Reihung von Hauptsätzen (Parataxen) und in Wiederholungen. David Foenkinos schreibt in lockerer Versform nicht mit der Gleichmäßigkeit in den Versen. 

Er gestaltet eine biografische Erzählung wie ein modernes Epos, als ob Charlottes Leben eine Odyssee wäre. Manche Zeilen ent­hal­ten nur syn­tak­ti­sche Frag­mente. 

Die Epi­so­den aus Char­lotte Salo­mons Leben wechseln mit Be­rich­ten des Au­tors über seine Re­cher­chen, Ein­drücke und Re­fle­xio­nen.

David Foenkinos gelingt mit dieser Form die Ver­zweif­lung und den Wahn­sinn der Zeit, das Leben und Schick­sal einer solch un­ge­wöhn­li­chen Frau, der es nicht ver­gönnt war, ihre kreati­ven Ta­lente in Frieden voll zu ent­falten, in Worte zu fas­sen.

 

Fazit

David Foenkinos erzählt eine Lebensgeschichte voller Intensität. Er schreibt Charlottes Lebensgeschichte tiefgründig, erschütternd. Seine Sprache bringt die Tragik mit aller Deutlichkeit hervor. 

 

Ein würdiges Denkmal für eine bemerkenswerte Frau.

 

 

Absolut empfehlenswert. Unbedingt lesen!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Mira (Freitag, 01 Oktober 2021 20:20)

    Ein wunderbares Buch, Petra, das ich vor längerer Zeit auch gelesen habe.

    LG, Mira