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Der Klang der Fremde

Autorin

Kim Thúy

 

Kim Thúy kam während der Tet-Offensive 1968 am 31. Januar in Saigon zur Welt. 

 

"Meine Geburt diente dem Zweck, verlorenes Leben zu ersetzen. Mein Leben stand in der Pflicht, das meiner Mutter fortzuführen."

 

„Die Tet-Offensive war eine Reihe offensiver militärischer Operationen der nordvietnamesischen Armee und des Vietcong zwischen dem 30. Januar und dem 23. September 1968 im Rahmen des Vietnamkrieges. Sie begann als Überraschungsangriff am Tag nach bzw. am vietnamesischen Neujahrsfest, dem Tết Nguyên Đán.“

Quelle: Wikipedia

 

Kim Thúy stammt aus einem großbürgerlichen Haus in Saigon. Es gab immer Dienstboten und Kindermädchen und ihre Mutter musste in ihrem Leben nie einen Besen auch nur anfassen. Nach dem Sieg der Kommunisten änderte sich das Leben der Familie radikal.

Die Kommunisten marschierten 1975 in Saigon ein und ihre Familie überließ ihnen die Hälfte ihres Besitzes. Durch eine Backsteinwand getrennt wurde so eine zweite Adresse für das Polizeirevier geschaffen. Ein Jahr später besetzten Vertreter der neuen kommunistischen Regierung die andere Hälfte des Hauses.

Kim Thúy war 10 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie fliehen musste. Über ein malaiisches Flüchtlingslager gelangte sie nach Kanada. Die Familie tauschte “Art-déco-Fauteuils“ gegen Flüchtlingslager.

 

Themen

Die Geschichte behandelt drei große Themen: 

 

•          Flucht und Vertreibung ihrer einst wohlhabenden Familie aus dem kommunistisch gewordenen Vietnam im Jahre 1978 nach Kanada 

 

•          Neuanfang in der neuen, ungewohnten Umgebung Quebec

 

 

•          späteren dreijährigen Aufenthalt in ihrer alten Heimat 

 

 

Die Themen in „Der Klang der Fremde“ werden nicht einfach chronologisch erzählt, sondern erzielen ihre Wirkung durch bunte, facettenreiche Rückwendungen und Vorausdeutungen. Kim Thúy thematisiert die negativen Erlebnisse ihrer Familienangehörigen sowohl in Vietnam als auch in Kanada, Sie beschreibt den plötzlichen sozialen Abstieg, die Armut und Perspektivlosigkeit und betont gleichzeitig die positiven Aspekte der Emigration, nämlich die Chance, in einem fremden Umfeld neu starten zu können. Sie benennt die Dinge klar und lässt neben Schattenbilder aus ihrer Vergangenheit verrückte Wahrnehmung von Alltäglichkeiten aufscheinen.

 

„Man glaubt immer, das Leben von Einwanderern sei nur schwer. Und vergisst dabei, dass ihre Erfahrungen auch wunderbare, lustige, bewegende und oft ganz absurde Momente umschließen.“

 

Kim Thúy kehrt als erwachsene Frau für drei Jahre nach Vietnam zurück. Dort lebt und arbeitet sie Tür an Tür mit den früheren Peinigern und trotzdem schildert sie diesen Aufenthalt aus einer wohltuenden Distanz heraus. 

 

Stil und Sprache

In 114 kleinere, fragmentarische Erzählungen reiht Kim Thúy ihre Geschichte beginnend mit ihrer Geburt aneinander in Abwechslung mit ihrem gegenwärtigen Leben. 

Ausdrucksstark und ohne Kompromisse zeigt sie uns das Land, dass sie verlassen musste und das stille Leiden der vietnamesischen Frauen. 

 

"Die Existenz all dieser Frauen, die Vietnam auf ihrem Rücken trugen, während ihre Männer und Söhne auf dem ihren Waffen transportierten, wird oft vergessen. Man vergisst sie, weil sie unter ihrem spitzen Hut nicht zum Himmel blickten. Sie warteten nur auf den Sonnenuntergang und sanken dann eher in eine Ohnmacht als in den Schlaf. Hätten sie genug Zeit gehabt, den Schlaf zu erwarten, hätten sie in Gedanken ihre in tausend Stücke zerrissenen Söhne oder die Leichen ihrer Männer wie Wracks auf einem Fluss treiben sehen. Die amerikanischen Sklaven konnten ihr Leid auf den Baumwollfeldern besingen. Diese Frauen liessen ihre Trauer in den Herzkammern wachsen."

 

Besondere Momente werden durch vietnamesische Lebensweisheiten vermittelt.

 

"Das Leben ist ein Kampf, in dem Trauer zur Niederlage führt" 

"Angst hat nur, wer lange Haare hat, denn wenn man keine hat, kann keiner dran ziehen." 

 

Kim Thúy schreibt mit allen Sinnen, wenn Worte ihr nicht mehr reichen. Sie entfaltet dann mit Fühlen, Riechen, Schmecken, Sehen, Klängen, Farben und Gerüchen ihre Erinnerungsbilder. 

 

„ICH FAND MEINEN ANKER, als ich Guillaume am Flughafen von Hanoi abholte. Der Duft seines T-Shirts, das nach Bounce-Weichspüler roch, brachte mich zum Weinen.“

 

Sie zeigt ihre traumatische Erfahrung von Verlust der Heimat, Kultur und Sprache ausdrucksstark wie bilderreich. Den Neustart in der fremden Gesellschaft sieht sie als Chance im Blick einer doppelten Perspektive, in der sie zwischen zwei ihrer bekannten Welten wandern, wechseln kann. 

 

Fazit

Der Klang der Fremde" ist eine erlebte und nicht erfundene Geschichte. 

Dreißig Jahre später hat Kim Thúy ihre Odyssee beendet mit der Erfahrung eines Lebens im Exil, immer bereit zu sein, alles hinter sich lassen zu können, um neu aufzubrechen.

 

„Ich erinnere mich lieber an einen inneren Kitzel, einen Taumel, mein Scheitern, mein Zögern, meine Verwandlungen, meine Verfehlungen … Ich ziehe sie vor, weil sie sich je nach der Farbe der Zeit modellieren lassen, während ein Gegenstand unnachgiebig, starr, sperrig bleibt.“

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