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Tote Seelen singen nicht

Als Fan der Reihe um das Sonderdezernat Q war für mich klar: Auch der elfte Band musste sofort gelesen werden. Nach dem Abschluss mit Natrium Chlorid dachte ich eigentlich, die Geschichte sei zu Ende erzählt. Umso größer die Freude, dass es nun doch weitergeht – wenn auch mit einigen einschneidenden Veränderungen.

Carl Mørck, das Gesicht der Reihe über so viele Jahre, ist nicht mehr Teil des Teams. Nach einem Jahr unschuldig im Gefängnis quittiert er endgültig den Dienst – ein schwerer Abschied, denn ohne ihn fühlt sich das Sonderdezernat im ersten Moment nicht mehr ganz komplett an. Doch der Roman schlägt geschickt eine Brücke: Carl bleibt präsent, spielt sogar eine kleine, aber wichtige Rolle und sorgt damit für einen Hauch Nostalgie. Gleichzeitig wird klar: Seine Geschichte ist erzählt, und nun beginnt eine neue Ära.

Im Zentrum dieser neuen Ära steht Helena Henry. Die Französin aus Lyon tritt unvermittelt auf den Plan, setzt sich selbstbewusst an Carls Platz und macht sofort deutlich, dass sie keine bloße Nachfolgerin ist. Sie ist tough, geheimnisvoll, unbequem – und bringt ihre eigene Vergangenheit, ihre eigenen Schatten mit. Gerade die Rückblicke in ihre Geschichte machen neugierig und lassen spüren, dass sie noch viele Geheimnisse birgt. Besonders spannend ist ihre Interaktion mit den alten Bekannten: Rose begegnet ihr mit offener Ablehnung, Assad schwankt zwischen Faszination und Irritation. Diese Spannungen sorgen für eine frische Dynamik im Team und eröffnen viele neue Möglichkeiten für die kommenden Bände.

Doch für große Befindlichkeiten bleibt kaum Zeit, denn die Handlung zieht den Leser sofort in ihren Bann. Eine grausame Mordserie erschüttert Kopenhagen, die Spur führt zu einem ehemaligen Sängerinternat, in dem Machtmissbrauch, Demütigungen und Misshandlungen systematisch vertuscht wurden. Schon relativ früh ist klar, wer hinter den Taten steckt – doch die Spannung entsteht durch das Warum. Die psychologische Tiefe des Täters, die Grausamkeiten der Vergangenheit und das daraus erwachsende Rachemotiv sind so intensiv geschildert, dass man beim Lesen zwischen Mitgefühl, Fassungslosigkeit und Wut schwankt. Das Motiv geht unter die Haut und hallt lange nach.

Wie gewohnt ist der Schreibstil flüssig, atmosphärisch dicht und voller Sogkraft. Die Autor:innen schaffen es, ein beklemmendes Szenario zu entfalten, das nie reißerisch wirkt, sondern psychologisch fundiert und vielschichtig. Gerade die Mischung aus brutaler Direktheit, bedrückender Vergangenheit und stillen Momenten der Reflexion macht den Reiz aus. Man atmet nie ganz auf – jede Seite bringt eine neue Wendung, eine neue Enthüllung.

Besonders gelungen finde ich die Balance zwischen Altbekanntem und Neuem: Rose und Assad bleiben die vertrauten Fixpunkte, Carl blitzt noch einmal auf, aber die Reihe wagt auch den Neuanfang mit Helena. Dadurch wirkt der elfte Band wie eine Fortsetzung und ein Neustart zugleich – vertraut und doch frisch.

 

Fazit:

Tote Seelen singen nicht ist ein würdiger elfter Band, der beweist, dass das Sonderdezernat Q noch lange nicht am Ende ist. Ein düsterer, fesselnder Thriller mit psychologischer Tiefe, einer schockierenden Hintergrundgeschichte und starken Figuren. Helena Henry ist eine spannende neue Protagonistin, die viel Potenzial für zukünftige Fälle mitbringt. Auch wenn ich Carl vermisst habe, überzeugt dieser Neustart auf ganzer Linie. 

 

 

 

Jussi Adler-Olsen

Tote Seelen singen nicht

erschienen 1. Oktober 2025

 

Penguin Verlag

 

 

 

 

 

 

 

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