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Die Tanzenden

Autorin

Victoria Mas

 

Ballnacht an Mitfasten

 

„»Louise. Es ist Zeit.» Mit einer Hand zieht Geneviève die Decke weg, unter der zusammengekauert auf der schmalen Matratze der schlafende Körper der jungen Frau liegt.“

 

Der Roman spielt in "Hôpital de la Salpêtrière" in Paris um 1885, einem der bekanntesten, psychiatrischen Anstalten Europas. 

Hier leben Frauen, die sich den Männern in ihrem Umfeld, ihren Vätern, Brüdern oder Onkeln widersetzt haben. Sie wurden in der einen oder anderen Weise auffällig oder ihnen wurden Heilkräfte, besondere Fähigkeiten nachgesagt. Schon ein kleiner Blick, eine Geste und jedes zuviel gesprochene Wort einer Frau konnte der Auslöser sein, sie an diesen grauenvollen Ort zu bringen, von dem es kein Entkommen mehr gibt. In den Augen der Pariser Bürger gelten sie als melancholisch, hysterisch oder besessen, irre oder einfach verrückt. Hundert Frauen teilen sich einen Schlafsaal, der mehr der zur Aufbewahrung und als Auswahl medizinischer Zwecke, um bei öffentlichen Vorführungen ihre Hysterie oder ihre Anfälle zur Schau zu stellen, dient. Der berühmte Neurologe Jean-Martin Charcot präsentiert regelmäßig seine interessantesten Fälle in seinen Vorlesungen ausschließlich männlichen Publikum.

In dem Roman stehen drei Protagonistinnen im Vordergrund. Eugénie, Louise und Oberschwester Geneviève, die seit 20 Jahren dort arbeitet und sich distanziert, aber verlässlich um die „Geisteskranken“ kümmert.

Eugénie und Louise gelten als Hysterikerinnen. Eugénie, Tochter der Pariser Bourgeoisie, fühlt sich seit ihrer Kindheit anders als die Menschen in ihrer Umgebung. Ihr erscheinen regelmäßig Geister und Tote mit denen sie spricht. Louise wurde als Dreizehnjährige von ihrem Onkel missbraucht und in die Psychiatrie eingeliefert. Beide suchen nach einem Weg aus der Anstalt zu entkommen. Die einzige Chance aus ihrer Rolle auszubrechen, um nach ihrem Gusto leben, lieben, denken und frei sein zu können, wie es für Männer selbstverständlich ist, sehen sie in der anstehenden Ballnacht, die ganz Paris sehen will. Die Vorbereitungen zur Ballnacht an Mitfasten, auch der „Ball der Verrückten“ genannt, ist daher der ideale Zeitpunkt, um das Vorhaben auszuführen.

 

„Sie selbst ist ihre letzte Rettung, an einem Ort, der die Menschen vernichtet, sobald sie Schwäche zeigen - darüber ist sich die junge Frau im Klaren.” (S. 138)

 

Eugénie schaffte es in der Aufseherin Geneviève eine Verbündete zu finden, die jedoch einen hohen Preis bezahlen muss, um ihr zu helfen.

 

Sprache und Stil

 

Die Sprache führt leicht, schlicht und klar durch die Handlung. Die Autorin erzählt die Geschichte flüssig. Der chronologische Aufbau erspart große Zeitsprünge.

Der Spannungsbogen bewegt sich in einem gemäßigten Rahmen. Mehr Tempo und Dichte hätten der Handlung gut getan. Die Charaktere, insbesondere die Protagonistinnen, hat die Autorin authentisch ausgearbeitet. 

 

Fazit

 

„Die Tanzenden“ ist der Debutroman von Victoria Mas und wurde mit dem Preis des besten Debuts in Frankreich ausgezeichnet. Der Roman gibt einen ungewöhnlichen Einblick in das ausgehende 19. Jahrhundert in Paris. Mas zeig wie Frauen, die keine Rechte hatten und dem Willen und der Willkür der Männer, die ausnahmslos über ihr Schicksal entschieden, ausgeliefert waren, einfach vergessen wurden in der "Hôpital de la Salpêtrière".

 

Lesenswert 4/5

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Mira (Montag, 16 November 2020 17:22)

    Dieses Buch werde ich mir notieren, könnte mich auch interessieren, liebe Petra.
    Grüße, Mira