Neuss liest
2021
Auftakt 14.Oktober 2021
mit der Autorin
Judith Hermann
Am 14.10.2021 war es wieder so weit. Die Eröffnungsveranstaltung „Neuss liest“ fand vor zahlreichen Literaturbegeisterten in der Neusser Stadtbibliothek statt.
Claudia Büchel, seit 2018 Leiterin der Stadtbibliothek Neuss, und Helga Schwarze, für Öffentlichkeitsarbeit und Erwachsenenliteratur zuständig, koordinieren das Festival. In diesem Jahr konnten sie die Berliner Schriftstellerin Judith Hermann einladen.
Nicht allen war bisher die Autorin bekannt. Bürgermeister Reinhard Breuer, der auch die Schirmherrschaft übernommen hat, hielt die Eröffnungsrede. Er gestand den Namen bisher nicht gekannt zu haben und musste erst einmal googeln. Aber nun weiß er, wer sie ist und wird noch mehr von Judith Hermann lesen.
Frau Büchel berichtete, dass „Neuss liest“ eine der längsten Geschichte in Deutschland hat und nun in Folge zum zwölften Mal stattfindet. Das ist rekordverdächtig. Dank zahlreicher Sponsoren ist es gelungen, diese Veranstaltung aufrecht erhalten.
Judith Hermann stellte ihren neuen Roman „Daheim“ vor. Die Moderation hat Christoph Schröder, freier Autor und Kritiker sowie Dozent für Literaturkritik an den Universitäten Frankfurt am Main und
Köln übernommen.
Begleitet wurde die Podiumsdiskussion von Toma Neill mit ihrem Bandoneon mit argentinischen Musikstücken.
Judith Hermann ist eine der berühmtesten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen, die ihr sechstes Buch vorgelegt hat.
Nach Kurzgeschichten wie „Sommerhaus, später“ oder „Gespenster“ ist „Daheim“ ihr zweiter Roman.
Der Roman „Daheim“ beginnt mit einer Erinnerung an eine Begebenheit vor fast 30 Jahren. Der Protagonistin, die ein tristes Leben führt und in einer Zigarettenfabrik arbeitet, wird eines Tages ein Job als Assistentin eines Zauberers angeboten, der auf Tournee mit einem Kreuzfahrtschiff Richtung Singapur gehen will. Sie lehnt ab. Es ist eine skurrile Episode, die in ihrer Art an „Sommerhaus, später“ erinnert. Sie schreibt das Leben der „Sommerhaus, später“ Figuren konsequent fort. Hermann selbst sagt dazu, dass sie wissen wollte, wie es weitergeht und nicht wie bei ihren Kurzgeschichten die Frage offenlässt.
Es geht weiter in die Gegenwart mit einem Zeitsprung von etwa zwanzig Jahren. Die Protagonistin ist von ihrem Mann Otis getrennt und ihre Tochter aus dem Haus. Sie zieht ans Meer, arbeitet bei ihrem Bruder in der Kneipe.
Sie freundet sich mit der Nachbarin Mimi an, einer Künstlerin, deren Familie einen großen Schweinehof in der Nähe besitzt, um den sich ihr Bruder Arild allein kümmert.
Judith Hermann möchte keine fertigen Figuren schaffen. Sie lässt bewusst Fragen offen. Trotzdem schafft sie mit ihrer lakonischen Sprache und auch den knappen Sätzen eine Dichte zu verschaffen. Sie sagt, das ist so gewollt. Sie möchte Raum zur Entwicklung lassen. Spätestens hier wird klar, dass sie sich auch mit ihrem Roman von der Kurzgeschichte nicht lösen kann. Auf 192 Seiten werden Fragen behandelt, die das Leben stellt: Wohin wollen wir gehen? Wann kommen wir an? Wem können wir vertrauen? Und wie zuverlässig sind unsere Erinnerungen?
Die Passagen, aus denen sie vorgelesen hat, strahlen Ruhe aus. Sie nehmen den Zuhörer in ihren Bann und lassen der Fantasie ihren Lauf. Sie setzt wirkungsvoll Bilder und Metaphern ein und lassen die Geschichte realistisch als auch allegorisch lesen. Unterschiedliche Tonfälle, dunkle Passagen wechseln mit heiteren und sogar lustigen Szenen ab, die wie eine große Zauberkiste immer wieder Neues zum Vorschein bringen lassen.
Die Ich-Erzählerin trifft einen „Zauberer“ oder ist es ein Psychopath?
Sie ist gerade mal zwanzig, arbeitet in einer Zigarettenfabrik. Die freie Zeit verbringt sie rauchend auf ihrem Balkon.
Eines Abends trifft sie an der Kasse der gegenüberliegenden Tankstelle einen seltsamen Mann im Anzug und schlohweißen Haaren. Er stellt sich als Zauberer vor und fragt sie ohne Umschweife, ob sie ihm nicht beim alten Trick mit der zersägten Frau assistieren wolle. Sie dürfe gerne mal bei ihm zur Probe vorbeikommen.
Da ist Mimi, die nach drei gescheiterten Ehen wieder leben möchte, „wo sie herkam“ und es liebt, nackt im brackigen Hafenwasser zu schwimmen.
Ein gelungener Auftakt „Neuss liest“ mit Judith Hermann.
Weiterer Lesungen folgen, wobei im Focus der Kaffeepausenlesungen „Aller Liebe Anfang“ steht, die alle bis auf eine im Rheinischen Landestheater in der Stadtbibliothek Neuss stattfinden. Unterschiedliche Lesungen werden in Neuss verteilt durchgeführt. Ihre Debüterzählungen „Sommerhaus, später“ aus dem Jahr 2014 wird am 20.10. 21 im „Kulturkeller Neuss“ gelesen.
Die letzte Lesung findet am 28.10.2021 in der
Katholischen Öffentlichen Bücherei St. Andreas in Norf statt mit „Lettipark“.
Autorin: Petra Gleibs